Während in Deutschland die Thermometer fast explodieren und alle nur noch im Schatten ausharren, spaziere ich bei angenehmen 23 Grad am Meer entlang. Fast zu schön, um wahr zu sein. Man könnte fast glauben, ich hätte heimlich mit dem Camino einen Wettertausch ausgehandelt: Deutschland nimmt die Hitze – ich nehme die Meeresbrise.



Gleich am Morgen komme ich an einer offenen Wäscherei vorbei. Drinnen sitzen unzählige Frauen an ihren heißen Bügelmaschinen, dicht an dicht, schwitzend unter einem von der Sonne verwöhnten, glühenden Flachdach. Keine Klimaanlage, nur offene Türen – durch die nicht etwa frische Luft hineingeleitet, sondern eine zähe Hitzewand herauszuströmen scheint. Während unsere Gesellschaft zu Hause über Work-Life-Balance, Gleichberechtigung oder Gendersternchen diskutiert, schuften hier – kaum zwei Flugstunden entfernt – Frauen unter Bedingungen, die eher nach Industrialisierung als nach Gegenwart riecht. Ein krasser Gegenpol, ein stiller Moment, der nachwirkt – und mich einmal mehr dankbar macht für meine Freiheit, meinen Weg, meine Luft zum Atmen.
Wenig später laufe ich an einem Einkaufszentrum vorbei. Na ja, was man hier so nennt: eine umgebaute Garage, ein paar T-Shirts im improvisierten Fenster und davor ein geschwätziger Geschäftsmann aus den Neunzigern. Und trotzdem: Es hat Charakter. Ich lächle. Der Camino zeigt mir immer wieder, wie wunderbar relativ unsere Maßstäbe sind.
Der restliche Weg den ganzen Tag direkt am Meer entlang. Der Atlantik tost, Möwen meckern – und der Gegenwind bläst, was das Zeug hält. Kein Spaziergang, aber auch keine Strafe. Nur: Kraft. Besonders, wenn ich durch diese gescheiterten Ferienparadiese wandere – Hochhäuser in Zementoptik, verblichene Sonnenschirme, leergefegte Strände. Orte, die einst große Träume verkaufen wollten und heute still vor sich hin verfallen. Wer will hier noch urlauben? Das Meer allein reicht nicht – es braucht Seele, Flair, einen Hauch Magie. Nachhaltiges Bauen, nicht stumpfer Beton.
Zum verspäteten Frühstück gegen Mittag gönne ich mir einen leckeren Salat mit Lachs – eine nachgereichte Grundlage für den restlichen Tag, der etwas mehr verlangt als die Letzten. Ich bin heute weiter gelaufen als gestern, und trotzdem fühlt es sich überproportional belastend an – oder besser gesagt: langweilig. Vielleicht, weil ich auch heute, den dritten Tag in Folge, allein unterwegs war. Bei meinem Tempo kein Wunder. Keine Gespräche, keine Weggefährten, kein interessanter Austausch unter Fremden – nur ich, die Meeresbrise, ein bisschen Musik und ab und an ein Hauch Stephen King auf den Ohren. Und ja, ich glaube genau diese Erfahrung ist es die „es“ mich lehren wird. Was auch immer – ich bin offen und sehr gespannt wie es weitergeht.
Am Abend wartet auf diesem Camino eine kleine Premiere: meine erste Nacht in einer offiziellen Pilgerherberge. Sechs Leute, ein Raum – schlicht, aber vollkommen ausreichend. Erst wird flott geduscht, dann in einem antiken Waschbecken Wäsche geschrubbt. In der Hoffnung, dass der Wind auch morgen noch da ist – als Trockenhilfe.
Buen Camino