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#Tag 27: Zurück ins echte Leben

Die Nacht war geteilt. Die eine Hälfte: ein wunderbarer Abend mit Melanie und Ruben – Gespräche, Lachen, echtes Leben. Die andere Hälfte: ich, der Blog, eine Schnacke und ein differenziertes Verhältnis zum Schlaf. Immerhin schlafe ich bis 10:00 Uhr – was bei den Verhältnissen der letzten Woche wie Ausschlafen bis Weihnachten wirkt. Danach gibt es weltbestes Frühstück: Honig aus der Region, Marmelade, und – Trommelwirbel – „Nutella“. Der süße Geschmack meiner Kindheit trifft die salzige Luft des portugiesischen Morgens. Glückseligkeit im Glas!

Wir fahren in das Fischerdorf von gestern zurück. Dort, wo wir zu spät zum Essen kamen, nicht aber zu spät, um etwas zu fühlen. Heute sehen wir es bei Licht: die alten Boote, die vor den kleinen Fischerhäusern liegen wie stille Zeitzeugen wilder Vergangenheit. Jedes Boot hat sein eigenes Häuschen, darin Netze, Anker, all das raue Werkzeug eines Lebens, das noch aus echtem Holz geschnitzt ist. Davor alte Männer mit wettergegerbten Gesichtern, ihre Geschichten schwebend zwischen Zigarette und Bierglas. Ein Anblick, so still und würdevoll, dass ich mich nicht traue, ihn mit einem Foto zu stören.


Entspannt geht es zu einem der bekanntesten Orte der Umgebung – einer kleinen Kirche, die würdevoll auf einem Felsen thront. Schon der Weg dorthin wirkt ein wenig außergewöhnlich. Und tatsächlich: Die Einheimischen nennen sie die „Kirche der Hexen“. Irgendetwas Mystisches liegt in der Luft. Hinter der Kirche – verborgen zwischen alten Mauern und knorrigen Wurzelresten die aus dem Meer ragen – flackert des Nachts ein Kerzenlicht. Man munkelt, hier würden nachts gelegentlich satanistische Hexenrituale stattfinden. Fackeln, Kreise, Schatten – was auch immer dort geschieht, es ist dann ein Relikt aus einer anderen Welt. Seltsam und sogleich faszinierend.


Dann der nächste Strand, ein kleiner Spaziergang, gefolgt von traditionellem Mittagessen. Ein Restaurant, wie es in Deutschland wohl aufgrund seiner Schlichtheit als Abstellkammer spezialisiert auf Tische und Stühle durchginge. Hier in Portugal ist das ein Qualitätsversprechen. Und es hält. Ich bestelle Tintenfisch – auf Holzkohle gegrillt, mit einer Sauce aus Olivenöl, Zwiebeln und frischen Kräutern. Dazu Pommes, weil: Pilgergrundsubstanz. Ruben wählt eine Dorade, Melanie einen Fisch, dessen Namen ich nicht kannte und daher vergessen habe. Alles schmeckt hervorragend – dezent gewürzt, aber voller Charakter. Und weil wir eben sind wie wir sind, bestellt Ruben noch zwei Rindersteaks mit Rippe. Die Portion: legendär. Der Geschmack: unfassbar. Mein Magen? Überfordert, aber glücklich.


Nach dem Festmahl geht’s zurück ans Meer. Wir suchen Muscheln, finden einen Seestern, leere Katzenhaieier für meine Kinder, und all die kleinen Schätze, die das Meer so liebevoll versteckt. 

Anschließend geht es gut gelaunt zum nächsten Strand. Der Spaziergang ist kurz, doch der Wind stark. Ruben und Melanie frieren, ich finde: perfekte Temperatur. Die Wellen krachen gegen die Wellenbrecher, als wollten sie die Küste umarmen. Zurück in der Stadt schlägt uns die Hitze wie ein Vorschlaghammer entgegen.


Wir laufen weiter. Ich erfahre, dass Fischer ihre frischen Fänge für zehn Euro in großen Kisten verkaufen. Nicht an Touristen, nicht an Restaurants, sondern an Frauen, die sie ausnehmen, säubern, weiterverkaufen. Ein stilles, lokales Business. Jeder bekommt ein Stück vom Leben ab.

Daraufhin schlendern wir durch deren Viertel, einer tristen Insel der Glückseligkeit. Es ist reduziert, ehrlich, pur. Geringstöckige Häuser, kleine Wohnflächen, davor selbstgezimmerte Stöcke mit Leinen, an denen die Wäsche im Wind flattert. Drinnen ganz sicher keine Designer-Sofas, keine Gartenzwerge. Nur: Leben. Hier gilt das einfache Gesetz: „Kauf nichts dazu. Lebe mit dem, was du hast.“ Man isst, was man fängt. Nur Fisch. Kein Reis, keine Kartoffeln, keine Pommes – denn das müsste man kaufen. Wir sehen, wie in einem Häuschen Fisch aufgehangen wird, zum Trocknen, zum Konservieren. Bacalhau, nur ohne Salz. Einfach so. Die Ewigkeit in Fischform. Für immer konserviert.


Am Abend sitzen wir lange zusammen. Ich erzähle meine Camino-Geschichten, zeige stolz Fotos meiner liebevollen Familie – meinem kleinen großen Herzanker. Ruben und Melanie teilen ihre Geschichten.

Ruben, ein bekannter Kitesurflehrer hier, wurde einst von einer gewaltigen Welle überrascht. Das Brett zerbrach, Melanie sah alles – er war plötzlich weg. Ein berühmter Surf-Fotograf, dessen Namen ich leider vergessen habe, hatte ihn durch sein Objektiv – und konnte Entwarnung geben. Ruben kam zurück, mit einem kleinen, halbzerstörten Stück Board, aber er kam zurück. Jahre später erlitt eben jener Fotograf einen Herzinfarkt. In den Krankenhäusern abgeschrieben, nicht mehr aufgenommen – doch er kämpfte. Und kämpft immer noch. Ruben wünscht sich nichts mehr, als mit ihm noch einmal auf dem Wasser zu stehen. Ein stiller Traum, für den es Geduld braucht. Kleine Schritte, sagt Ruben. Kleine Schritte und die Entschlossenheit, nicht aufzugeben.

Und dann sagt Ruben diesen einen Satz, den ich nie vergessen werde: „Deswegen musst du das Leben genau jetzt genießen. Weil du nie weißt, wann es vorbei ist.“ Recht hat er. Und ich nicke. Still.

Was ein schöner, ehrlicher und unvergesslicher Tag. Danke liebe Melanie, danke lieber Ruben für all das was ihr mir ermöglicht habt. Passt auf euch auf 🤍
Buen Caminho!