Der Morgen beginnt entspannt. Kein Rucksack, der hektisch geschnürt werden will, keine Steigung, die bezwungen werden muss. Stattdessen: ein entspanntes Erwachen, ein Telefongespräch mit der Familie – die Vorfreude aufs Wiedersehen am Montag kribbelt gehörig. Ich merke: Ich bin durch mit dem Camino. Für dieses Mal. Genau richtig.
Ich packe meinen Rucksack neu. Nicht wie bisher nach Gewicht, sondern nach Relevanz. Was ich nicht mehr brauche – nach unten. Was ich noch brauche – griffbereit nach oben. Ein kleines symbolisches Neusortieren. Nicht nur meines Gepäcks, sondern auch meines Inneren.
12:30 Uhr beginnt die Reise nach Porto. Vier Stunden Busfahrt. Und mit jeder Minute mehr wird sie zu einer kleinen Zeitreise durch Erinnerungen. Immer wieder erkenne ich Orte, die ich zu Fuß durchquert habe – kleine Besonderheiten, winzige Wegmarken, die mir wieder in den Kopf schießen. Die Festung vor Tui. Die Brücke, über die ich die Grenze überschritten habe. Der Supermarkt mit den legendären Spareribs, die ich auf eben dieser Festung verspeist habe. Ich entdecke sogar die kleine weiße Kirche, die ich ausgelassen habe – aus Erschöpfung, 150 Meter vor dem Foto, dass es bei mir nicht gibt. Mein Tag des Pinguins, wie ich ihn nenne. Der Moment, an dem wenig später der Pfarrer mit lautstarker Musik zum Gang zur Kirche rief. Und dann: ein niedergebrannter Wald. Auf dem Camino ist er mir nicht aufgefallen. Jetzt wirkt er wie ein Mahnmal zur Vergänglichkeit.
In Porto angekommen, holen mich Ruben und seine Frau Melanie aus Deutschland ab. Ich darf auf ihrem Sofa schlafen – wie wunderbar. Ich freue mich riesig, diesen Camino mit den beiden ausklingen zu lassen. Die portugiesische Lebensfreude noch einmal ganz nah zu spüren, ein Abend voller Gespräche, Lachen werden mich mit besten Erinnerungen ziehen lassen.
Kaum bin ich aus dem Bus ausgestiegen, fahren Ruben, Melanie und ich direkt in die Stadt. Porto empfängt uns mit 33 Grad im Schatten – also perfekte Bedingungen für eine Stadttour mit Steigungen. Wir laufen durch die Gassen, bergauf, bergab, lassen uns treiben zwischen alten Fassaden, flirrenden Sonnenflecken und den Klängen von Straßenmusikanten, die irgendwo zwischen Fado und Straßenromantik pendeln. Die Gebäude: prachtvoll, verwinkelt, warm in ihren Farben. Porto eben.
Damit wir – also insbesondere ich, nicht vom Fleisch fallen – essen wir eine Spezialität die es nur in Porto gibt: Ein HotDog auf Portugiesisch – ein „Cachorrinho“ in der dafür besten Kneipe „GAZELA“. Sagenhaft!
Danach wechseln wir die Flussseite – hinüber ins touristische Herz von Gaia. Dort, wo die Portweinhäuser wie elegante Zeugen einer langen Geschichte am Ufer stehen. Wo die Boote den Portwein aus dem Douro-Tal heranschaffen, um ihn hier zu veredeln. Und natürlich auch Touristenboote, wie Sand am Meer. Aber das Ambiente ist zauberhaft – warm, lebendig, leicht berauscht. Und natürlich trinken wir erst einmal einen Portwein. Gehört sich so.
Die Trauben werden unter glühender Sonne geerntet und anschließend in „Vila Nova de Gaia“ gelagert und veredelt. Das Besondere: Während der Gärung wird der Wein mit hochprozentigem Alkohol gestoppt – so bleibt er süß, stark und unglaublich aromatisch. Und das geht nur hier, weil Klima, Boden und Tradition exakt zusammenpassen. Portwein ist eben nicht einfach nur Wein. Er ist eine Kunstform mit Ursprungsschutz.
Später fahren wir raus aus dem Trubel, in ein kleines Fischerdorf „Afurada“ etwas außerhalb. Dort, so heißt es, gibt es das beste Essen der Region – authentisch, lebendig, preislich angemessen und vor allem: hausgemacht. 22:30 Uhr abends wird dort noch gekocht, gegrillt, gefeiert. Die Straßen werden zu Küchen, die Bürgersteige zu Tafeln. Überall raucht es aus den Holzkohlengrills und in der Luft liegt ein typischer Duft: gegrillter Fisch. Ein Traum. Nur leider … sind wir etwas zu spät: 22:40 Uhr! Der Umsatz ist im Sack, die Lust ist aus, die Töpfe leer. Aber der Abend? War trotzdem perfekt. Ein würdiger Camino-Abschluss. Nur eben ohne gegrillten Fisch. Zumindest heute.
Stattdessen kutschiert uns Melanie zum Einkaufszentrum. 30 Minuten Fahrt. Dort gibt es Thai-Schellimbiss mit Nudeln. Ein würdiger Schluss.
Und jetzt liege ich hier 2:00 Uhr unserer Zeit und freue mich über jede gemeinsame Sekunde und blicke begeistert, aber auch unendlich müde auf morgen. Das wird nicht minder spektakulär.
Bom Caminho!