Zum Inhalt springen
Startseite » Blog » #Tag 21: Vom Wasser beflügelt

#Tag 21: Vom Wasser beflügelt

Manchmal beginnt ein perfekter Tag unspektakulär. Kein Weckerterror, keine schnarchenden Priester, keine fluchenden Bettnachbarn. Heute verschwindet einfach jeder still und leise aus der Herberge – als wären sie auf Zehenspitzen hinausgeschlichen, um mich noch ein bisschen schlafen zu lassen. Danke dafür, ihr Camino-Geister.

Gegen 9:00 Uhr bin ich dann wieder unterwegs. Und was ich da noch nicht weiß: Dieser Tag offenbart den schönsten Wanderweg auf dem ganzen Camino. Wenn es nur ihn gäbe, wäre es genug Schönheit um den ganzen Rest zu laufen.


Es geht bergab. Richtig steil bergab. Stock und Stein. Vom nächtlichen Regen noch glitschig. Vorsicht ist geboten. Ich laufe die „Ruta Da Pedra E Da Auga“, ein Name (zumindest auf Spanisch) wie Musik, ein Weg wie Magie. Ein Fluss begleitet mich wie ein treuer Freund. Wasserfall reiht sich an Wasserfall, ein Naturspektakel sondergleichen. Einer nach dem anderen. Ich bleibe stehen. Wieder und wieder. Zum Staunen. Zum Lauschen. Zum Schauen. Für 4 Kilometer brauche ich fast 3 Stunden – nicht, weil ich nicht schneller könnte, sondern weil ich nicht will. Ich will nicht, dass das aufhört. Lass die Zeit stillstehen. Ich will alles aufsaugen – das Leben.


Und nach einer Weile … mein Magen knurrt. Und zwar so richtig. Wer mich kennt, weiß: Ich verspüre fast nie Hunger. Aber heute – Bärenhunger. Problem: Weit und breit kein Lokal. Rucksack ohne Frühstück und selbst Google sagt, es gibt nichts. Bis zum Schluss – fast 14 lange Kilometer. Camino auf vier Rädern? Fehlanzeige. Ich schleppe mich durchs Nirgendwo, hin und wieder schwankend zwischen Naturglück und Frühstücksfrust.


Am Ende springt sogar eine kleine Kreuzotter vor meine Linse. Ist einfach da, sagt vorsichtig hallo. Sicher – unter Wasser gleitet sie dahin. Wunderschön.

Sie ist klein, gepunktet, trägt ZickZack auf dem Rücken und ist nordisch-effizient – kein Drama-Lama in Schlangenform. Ihr Giftvorrat ist überschaubar (10 bis 18 mg trocken), und sie gibt davon bei den meisten Bissen – Überraschung! – exakt nichts ab. Warum? Weil sie es für Mäuse und Frösche braucht, nicht für hyperaktive Pilger wie mich – mit Powerbar in der Seitentasche die sie im Wasser bestaunen.

Selbst wenn sie richtig zubeißt, bräuchte es fünf von ihr, um einen 75-kg-Menschen ernsthaft umzuhauen. Die Wahrscheinlichkeit dafür? Irgendwo zwischen „niente“ und „du wirst eher vom Himmel herab mit Pulpo beworfen“. Also: ruhig bleiben, weiterlaufen.

Und dann … mitten im Wald, tönt wie aus dem Nichts: Ein kleines Restaurant. Ich dachte, ich höre Engelschöre. Es gibt Frühstück. Ich frühstücke überdacht und exakt in diesem Moment – dem ersten Biss in den Sandwich – beginnt es zu regnen. Als ich fertig bin: Sonne. Ich meine, wenn das kein göttlicher Service ist, dann weiß ich auch nicht.


Später treffe ich Josè wieder. Den Venezolaner mit kalifornischem Wohnsitz und einer Pilger-Familienanbindung an die Herberge Alternativo – die mit den Kerzen. Er läuft schnell, zieht mich mit und wir sprechen über Gott und die Welt, im wahrsten Sinne. Über seine Mexiko-Pläne, die ein bisschen nach anderer Welt klingen. Wir sprechen über außerirdisches Leben, Energie und so allerlei Besonderheiten. Seine Familie ist katholisch. Er nicht – zu viele Widersprüche. Ich liebe solche Begegnungen – weil sie mir zeigen, wie viele Wege es gibt, an das Gute zu glauben. Oder zumindest daran, dass der Weg das Ziel ist und alles gut ist, solange es hilft. Ein toller Austausch auf Augenhöhe, Weltoffenheit und 7 Kilometer schwereloser Beine – Danke Josè. Glauben versetzt Berge, gute Gespräche auch.


Drei Kilometer vor dem Ziel trennen sich unsere Wege. Seine Familie sinnt es nach Pause und er ist heute allein gegangen. Mit leerem Kinderbuggy. Ich gehe weiter. Mache eine Pause, gönne mir ein Bier – ja, auch das gehört zum spirituellen Pfad. Und es Nieselt. Wenig aber nass. Währenddessen mache ich eine interessante Beobachtung.

Elegant wie eine Balletttänzerin auf Zehenspitzen, mit knallgelben Füßen, die ein kleiner, weißer Reiher auffällig im Wasser wackeln lässt – als hätte er irgendwo gelesen, dass man Fische durch diskrete Fußmassage zum Beißen animiert. Und tatsächlich: Einer nach dem anderen kommt neugierig angeschwommen und testet die „Reiherpediküre“. Ein letzter Happen – zack – Fisch weg. 


Der Regen ist schon wieder zu ende als ich los gehe. Daher gibt es für mich Musik auf die Ohren. Beine in den Takt geschungen, und plötzlich bin ich wieder schnell. Schließlich will ich mein Einzelzimmer genießen. Die letzten 2,5 Kilometer verfliegen. Natürlich nicht die letzten 500 – lächerliche Meter – für gewöhnlich sind die besonders schwer. Heute besonders. Endlos.

Ankunft in der Herberge. Ich bin durch. Komplett. Schuhe aus, Füße aufs Bett, Gedanken ins Kissen. Ein Tag zum Festhalten. Zum Wiedererleben. Zum Danken. Doch die Wäsche ruft.

Buen Camino!