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#Tag 16: Achtsamkeit. Nur Döner ist schöner

Der Tag beginnt früh. Tina will extra zeitig los, und die ersten Raschelgeräusche im Zimmer lassen keinen Zweifel: der Camino ruft zum „rasen“ – sie und alle anderen. Ich stehe auf, nicht ganz freiwillig, aber früh bringt Kilometer. 18 so der Plan. Zumindest in der Theorie. Ohne Schmerzmittel, ohne Tape.

Ein Brillenbruch bei Tina sorgt für einen leichten Fehlstart, ich gehe also vor. Werde bald von Tina eingeholt. Gemeinsam schieben wir – also vor allem sie, aber ich helfe – den Kinderwagen den ersten langen, steilen Anstieg hinauf. Ein echtes Krafttraining mit Bonusgewicht. Doch irgendwann merke ich: das ist nicht mein Tempo und es geht weitere lange Meter auf 250 Höhenmeter Richtung Himmel. Was ein Start. Ich verabschiede mich und laufe allein weiter.


Oben am Zenith – Belohnung: ein kleines Café, ein Baguette mit Serrano-Schinken, Käse, dazu eiskaltes Mineralwasser. Der Abstieg danach ist eine andere Art von Herausforderung – so steil, dass meine Fußspitzen sich beschweren, andere laufen im Zickzack wie auf der Flucht vor der Schwerkraft. Denn hier gilt wirklich: wer fällt, der rollt.


Völlig entkräftet und desillusioniert latsche ich weiter. Schon wieder Pause auf einer Treppe – die Massen an Pilger ziehen an mir vorüber. Maximal frimustrierend. Macht kein Spaß. Wenig später ein Kiosk – im Keller versteckt. Ich trete ein – eisgekühltes Monster zaubert mir ein lächeln. Eine Dame spricht vor mir an der Kasse auf Englisch, bestellt sich Eistee und Früchte. Ich frage sie draußen, ob sie Deutsch ist – Treffer. Hört man halt. Wir sind sofort auf einer Wellenlänge, doch ich ziehe weiter, während sie noch an ihrem Obst knabbert.


Ein paar Schritte später zwingt mich mein Magen zur nächsten Pause – direkt im Zentrum. Ich komme an einem verlockenden Pulporia vorbei, halte aber etwas später am Dönerstand. Schuhe aus, Döner rein. Kati – die Eistee-Dame – setzt sich zu mir. Auch sie bestellt einen Dürüm. Danach laufen wir gemeinsam weiter. Sie ist schnell, sehr schnell. Ich sage ihr mehrfach, sie könne ruhig vorgehen, aber sie bleibt. Und das lohnt sich – sagte sie später.


Wir machen unzählige Pausen. Erst am Waldrand mit einer Getränkedose, dann auf einem Stein im Schatten. Wir begegnen einem Pilger – deutsch – der völlig erschöpft im Schatten auf der Straße liegt. Ihm gehts gut, zu viel – wer es braucht. Irgendwann entdecken wir ein handgemaltes Schild zu einer Bar mitten im Wald. Idyllischer geht’s nicht. Dort gibt’s Sangria, Gespräche, Lachen, gute Rockmusik.


Kati ist glücklich als wir uns verabschieden. Sie sagt, ich hätte ihr ihr gezeigt, wie schön Entschleunigung sein kann und wie einfach sie funktioniert. Ich nenne es Achtsamkeit und denke: Stimmt, genau das ist es. Immer wieder erzählen mir Pilger voller Begeisterung von Brücken, Häusern, Bäumen. Alles schön, klar. Aber die echten Erlebnisse, die, die keiner plant, die passieren nur, wenn man loslässt. Wenn man nicht hetzt. Wenn man nicht zählt, sondern sich treiben, wenn man das Leben geschehen lässt und dadurch Optionen erkennt. Die kennen sie nicht, so schade – ich habe beides. Fast täglich.



Zum Abschied wollen wir noch kurz einkaufen. An einer Straßenecke hinter uns entdeckt Kati einen kleinen Supermarkt, wir drehen um und laufen zurück. Kati frägt mich an der Kasse, ob wir zum Abschied noch eine Pause machen. Klar, wir wollen uns auf eine Bank im Schatten setzen, bei 32 Grad. Mein Hintern schwebt gerade noch so in der Luft als ich hinter mir — vom Spielplatz — her höre: „Michael! Schön, dass du da bist!“ Tina steht dort mit Richard. Eigentlich wollten sie ein Dorf weiter, ich eines weniger – Differenz 1 Kilometer. Wir hätten uns laut Planung nicht wiedersehen dürfen. Und doch: da sind sie. Schön!

Ich erzähle ihr von meiner Herberge – sie zeigt auf ein Haus. „Die ist direkt hinter dir.“ Ich drehe mich um. Tatsächlich. Der Name stimmt. Hätte ich Kati und Tina nicht getroffen, wäre ich zwei Kilometer weitergelaufen – ins Zentrum – und hätte alles zurück gemusst. Camino eben.

Die Herberge? Gefühlt 100 Menschen, ein Raum. 15 Euro. Duschen bei 32 Grad – nichts besonderes denkt man – doch. Temperaturvariables Duschen ist heute ein ganz besonderer Traum, denn gestern in der Herberge war die Dusche so unregulierbar heiß, dass meine Brille danach bei 35 Grad Außentemperatur beschlagen ist. Erst gewandert dann überbrüht. Danke. Heute: angenehm kühl. Wie ein Geschenk. Camino-Präsent Nummer 3.519.

Buen Camino!