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#Tag 9: Tag des Abschieds – oder wie der Schwabe aus dem Schwan fiel

Die Nacht war… naja, nennen wir’s lebendig. Esel mit Nachwuchs direkt neben der Herberge – Lauthalskonzert inklusive. Kein Wunder also, dass ich glatt verschlafe. Geplant war 8 Uhr, aufgewacht bin ich eine Stunde später. Also schnell Sachen packen, raus aus dem Bett, Frühstücken – Butter. Brot. Käse. Wurst und weltbestes Bauernhofei.

Dazu ein sympathisches Frühstücksgespräch mit einem portugiesischen Pärchen aus Porto, das extra hier verweilt, um zu entschleunigen. Guter Plan. Tolles Gespräch und plötzlich unterhalten wir uns über die kleinen kulturellen Spannungen zwischen Spanien und Portugal – ausgelöst durch ein einziges Wort: „Gracias“. Ich rutsche immer wieder rein wenn ich eigentlich „molte obrigado“ zum Dank sagen sollte. Die Reaktionen reichen dann von hochgezogener Augenbraue bis zu „dieser spanische Tintenfisch ist farblos, fürchterlich, ungenießbar“-Tiraden. Warum? Keiner weiß es außer die Vergangenheit. Aber es ist faszinierend, wie tief verwurzelt kulturelle Vorurteile im Alltag oder in Unternehmen stecken. Gleich ob beim Tintenfisch oder beim Hähnchen.

Dann geht es los. Ich schultere den Rucksack, laufe los – und trage dabei zwei der drei gestern gekauften Wasserflaschen den Berg hinunter. Absurd eigentlich. Ich sollte mehr trinken, aber wie immer auf dem Camino denkt man: besser sparen, man weiß ja nie, wann der nächste Laden wirklich offen hat. Also: ein Schluck, der Rest wird geschleppt.


Heute ist ein Tag des Abschieds – so fühlt es sich jedenfalls an. Mein Weg führt endgültig ins Landesinnere. Kein Meer mehr, keine Küstenlinie, keine vertrauten Gesichter. Auch Steffi sehe ich ein letztes Mal – zumindest unser letzter gemeinsamer Abend. Danach trennen sich unsere Wege: Sie folgt der Küstenroute, ich ziehe ins Grüne. Galizien ruft – mit Pulpo, Hügeln und Herzklopfen.


Jedes Ende ist ein Neuanfang: und schon wenig später eine Begegnung der luftigen Art. Eine Pilgerin aus Österreich fragt mich, wie lange ich schon unterwegs bin. Ich überlege – sieben, acht Tage oder neun Tage? Sie ist seit drei Tagen los – ab Porto. Ich wünsche ihr „guten Flug“ – und zack, hebt sie gefühlt wirklich ab. Ob sie wohl schon etwas gesehen hat?

Dann schreibt mir ein guter Freund. Er verfolgt meinen Blog, hat eine Weiterbildung auf einer Finca gemacht – mit Schwanenparty im Pool. Ich antworte: „Wenn wir mal gemeinsam auf einem Schwan reiten, wird das wild“. Siri macht aus „Schwan“ allerdings „Schwaben“. Der Lacher ist gesichert. Und als wäre das Universum ein Fan von Pointen, treffe ich kurz darauf Hans – einen echten Schwaben. Zufall? Wohl kaum.

Passend dazu eine dieser Wegweisungen des Lebens: In meiner Herberge von letzter Nacht lebt eine Deutsche, die dort Sprachunterricht gibt – Portugiesisch für Deutsche, Deutsch für Portugiesen. Und das in einem fast pilgerfreien Niemandsland kurz vor der spanischen Grenze. Wirtschaftlich unsinnig? Mein erster Gedanke. Aber sie verdient gut. Einmal mehr zeigt sich: Möglichkeiten gibt es überall – man muss sie nur erkennen. Und dann einfach loslegen.

Nach fast sechs Kilometern mache ich Pause. Durchschnittstempo: 4,3 km/h – für mich ganz ordentlich. Ich setze mich unter Bäume, es gibt Tische, Bänke, Schatten. Und ein Kilo Süßkirschen. Die genieße ich in aller Ruhe, dazu Mineralwasser – herrlich.

Nach einer Weile setzt sich ein Portugiese zu mir. Er arbeitet in einer Media-Agentur, hat ein paar Tage frei und wandert ein Stück des Caminos. Wir unterhalten uns über KI – über das, was kommt, und was schon da ist. Über Ängste, Chancen, darüber, wie man nicht ersetzt wird, solange man in Bewegung bleibt. Ein tolles Gespräch. Offen, tief, persönlich. Irgendwann zaubert er eine gekühlte Flasche Wein hervor. Und wir bleiben einfach sitzen. Ich wollte eigentlich weiter. Aber: Pläne sind Vorschläge.

In der Herberge in Caminha gibt es 4 km weiter das übliche Ritual: duschen, Wäsche waschen, hoffen, dass bis morgen alles trocken ist. Ich tausche mich mit meinen Bettnachbarn aus. Sie sind mitten in Frankreich gestartet und gehen jetzt den Portugiesischen Weg in umgekehrte Richtung zum Finale. 1.800 Kilometer, seit April. Wow. Ich frage sie: was ist jetzt anders? Man trifft niemandem wieder.


Ich würde gerne etwas essen – aber es ist zu früh, alles hat noch zu. Also: Zeit überbrücken. Wir folgen dem Tipp der Herberge und landen in einer Weinbar.

Ein Glas Portwein – eiskalt serviert – Weltklasse. Der Kellner? Umsorgend, fixiert sich im Gespräch allerdings auf den männlichen Teil der Runde. Scheint seine Gesprächsdynamik zu sein. Egal. Der Wein ist grandios. Um die Geschmacksvielfalt zu erleben, bekommen wir eine kleine Käse- und Schokoladenauswahl dazu. Die Aromen wechseln, die Temperatur macht den Unterschied – es ist fast ein kleines Tasting-Erlebnis. Camino-Gourmet, ungeplant.


Danach: Pizza. Lecker, feurig bis zum letzten Bissen. Dazu Peperoni Olivenöl und natürlich Wasser, etwas Wein, Gin Tonic – und Gespräche über alles, was wirklich zählt. Ein Abend, der bleibt.


Zurück in der Herberge heißt es Abschied nehmen. Steffi wird in Kürze mit dem Taxi zur Fähre gebracht – auf die andere Seite des Flusses, auf die spanische Seite. Ab morgen läuft sie auf spanischer Seite mit deutscher Zeit. Ich bleibe in Portugal, auf der rechten Flussseite – und watschle eine Stunde zeitverzögert ins Landesinnere. Zwei Wege, zwei Richtungen, ein gemeinsames Stück Geschichte.

Bom Caminho!