Der Tag beginnt mit einem vertrauten Bild: gemütliches Frühstück, vertraute Gesichter vom gestrigen Abend, ein Löffel Marmelade – dieses Mal jedoch undefinierbar in Konsistenz und Geschmack. Das lassen wir jetzt mal so stehen.
Motiviert starte ich in den Tag – zumindest theoretisch. Denn praktisch geht es direkt steil bergauf gefolgt von einem steinigen, trickreichen Abstieg. Die ersten drei Kilometer ziehen sich jetzt schon wie Kaugummi. Nicht gut. Und obwohl ich eigentlich gut drauf bin, will der Flow sich nicht so recht einstellen – also so überhaupt nicht. Dumm nur, dass ich heute Morgen eine Herberge in 14 Kilometer Entfernung gebucht habe. Mal sehen, was draus wird.
Der gestrige Endspurt fordert wie befürchtet seinen Tribut. Unter der rechten Ballen kündigt sich eine neue – leider tief sitzende – Blase an, links am Ballen gedeiht eine gleichermaßen arglistige Variante.
Der Weg führt watschelnd schmerzhaft über eine Brücke mit einem schmalen Fußsteig. Gerade mal breit genug für eine Person. Wenn jemand überholen möchte oder entgegenkommt, wird’s kuschelig – und bei Autos richtig gefährlich.
Die Autofahrer bremsen in Portugal nicht, sie verkrampfen nur kurz ihr Gesicht. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein: Augen zu und durch – egal, ob es einen Pilger kostet oder nicht. Und ehrlich – die meisten Autos erzählen eine kontaktreiche Geschichte.
Der immer noch viel zu große Rest der Tagesstrecke zeiht sich langsam und unerträglich. Während der konstant starke Gegenwind mir laufend Sand in die Augen wirft, höre ich traditionelle portugiesische Musik und hoffe darauf, dass eine Lokalität zur ausgedehnten Pause lädt. Fehlanzeige. Es geht weiter. 1,5 langsame Kilometer weiter kommt Ernüchterung. Gewissheit. Keine Kneipe, kein Fest – ein Pfaffer wirbt lautstark für seine Sonntagsmesse – mittels Lautsprecher.
In der Herberge völlig erschöpft angekommen, gönne ich mir eine wohltuende Dusche. Dann Wäsche waschen. Als ich zurück ins Zimmer komme – Überraschung! Über mir im Hochbett liegt Jeniffer, die deutsche Mitpilgerin, die ich vor zwei Tagen kennengelernt habe. Ihre Füße an einer Stelle inzwischen fast so dick wie portugiesische Melonen. Das Gepäck lastet wohl noch immer vierzehn Kilo schwer? Ja – wir lachen beide.
In der Küche sitzen wir zusammen, erzählen, entspannen. Da stößt Steffi zu uns – und wird prompt vom spanischen Charme eines Herbergengastes überrollt. Ein Heiratsantrag via Google Translate. Ernst gemeint – natürlich nicht. Sie lehnt höflich ab und alle wissen: der Abend wird lustig.
Dann wird’s ernst – oder sagen wir: praktisch. Jennifers Rucksack muss leichter werden. Steffi und ich starten die große Entrümpelung. Was darf gehen? Was wurde nicht gebraucht und kam als letzes rein? Ein viel zu warmer Pullover, ein drittes paar Schuhe, diverse „Falls-ich-es-doch-mal-brauche“-Utensilien entschwinden. Ca. 1,5 kg unnötiger Ballast werden von Steffi umgehend an andere Pilger verteilt. Die Armen!
Den Rest des Abends sitzen wir zusammen, lachen über dicke Füße, Gott und die Welt und regen uns zum Nachdenken an. Ein Tscheche und ein Italiener stoßen dazu – und wir starten spontan eine “Trockner-Party”. Während die Maschine vor sich hin brummt, teilen wir Geschichten und international gute Laune. Ob die Wäsche am Ende wirklich trocken war? Nicht ganz. Aber das war uns völlig egal.
Fazit des Tages: Weniger Kilos auf dem Rücken, mehr Leichtigkeit im Herzen. Und wenn heute ein senioriger Spanier nicht unter der Haube gelandet ist, dann liegt’s an Steffi.
Bom Caminho!