Das Wetter beginnt mit Sonnenschein, die Laune? Bestens. Am Frühstückstisch sitzen wir in gemütlicher Runde beisammen – vertraute deutsche Stimmen, Brötchen, Käse, Schinken. Einfach gut. Als die meisten Pilger schon aufbrechen, nutze ich die ruhige Minute für ein Gespräch mit dem belgischen Herbergsinhaber. Seit 2019 lebt er hier, 2020 kaufte er das Haus – etwa 400.000 € Invest. Die Elektrik? Selbst gemacht. Seine Frau hilft mit, eine Putzkraft gibt es auch. 26 Betten, Essen, Austausch mit Pilgern – etwa 30 € Umsatz pro Person. Reich wird man davon nicht, meint er, aber das Leben sei spannend, abwechslungsreich, manchmal auch nervenzehrend. Klar, ist ja schließlich Leben.
Ich freue mich über meine eher entspannte Etappe heute – gerade mal 7,5 Kilometer. Halbzeit übrigens! Schon seit ein paar Tagen, ohne es zu merken. Läuft also. Und meine Unterkunft in Tui? Ein altes Kloster, mitten im Zentrum. 17 Euro. Vielversprechend.
Storchversammlung. 29 an der Zahl, im Aufwind. Wieviel zählst du?
Ein Zwischenstopp im Supermarkt muss sein. Eigentlich nur ein Kaltgetränk und etwas Obst – aber dann zieht mich die Fleischtheke magisch an. Spareribs und eine Hähnchenkeule wandern mit aufs Band. 6 Euro für ein dann doch größeres Camino-Festmahl.
Kurz darauf betrete ich die Festung Valença. Über mehrere Burggräben, durch dicke Mauern, vorbei an Autos, die sich durch enge Steintore zwängen. Ich klettere einen Burgwall hinauf, finde dort die perfekte Aussicht – und verspeise mein warmes Mittagsmahl. Satt. Pappsatt. Abendessen? Gestrichen. So der Plan.
Im Inneren der Festung wimmelt es: Touristen, Musiker, Händler, Souvenirs bis zum Abwinken. Ein bunter Markt, der mir fast schon zu laut, zu voll, zu viel ist. Und dann – wie ein Filmschnitt: plötzlich Stille. Keine Menschen, keine Stimmen. Nur ich. Camino-Magie. Ich verlasse die Festung, laufe durch grüne Felder, alte Mauern – und bin wieder allein mit mir und meinem Weg.
Die Brücke nach Spanien wartet. Eine alte Eisenkonstruktion – und eine Geschichte, die sich hartnäckig hält: keine Ampel, nur das Gesetz des Schnelleren. Wer zuerst die Mitte überquert, gewinnt. Mittellinie ist angebracht – sagt man. Der andere muss zurücksetzen. Heute allerdings Fehlalarm – zwei Autos passen gleichzeitig durch. Eng, aber machbar.
Die Menschen grüßen mit freundlichen „Olá“. Ich fühle mich angekommen. Gegen 16 Uhr erreiche ich meine Unterkunft. Ein wunderschönes Kloster, dicke Steinmauern, ruhiger Innenhof. Nur die Bettenvergabe folgt einer eigenen Kloster-Logik: Wer online bucht, landet im Hochbett. Blasen am Ballen hin oder her – rauf da. Ich wasche zwei Garnituren Wäsche, ziehe Nummer drei frisch an. Der Innenhof wird zum Trockenplatz – morgen kann kommen.
Beim Wäsche aufhängen, erstaunen: Eine junge Mutter aus Deutschland checkt ein – mit dabei ihr zweieinhalbjähriger Sohn Richard. Freudig und aktiv. Sie pilgern gemeinsam. Über 20 Kilometer am Tag. Drei davon läuft er selbst, den Rest sitzt er im Buggy – als wäre das völlig normal. Mein Respekt, kleiner Mann. Du bist heute der Held des Camino. Später merke ich schlafen unter mir – willkommen.
Zum heutigen Finale geht es in die Altstadt. Tui – klingt erstmal nach Ferienkatalog, ist aber eine der ältesten Städte Galiciens. Direkt an der Grenze zu Portugal gelegen, empfängt mich die Altstadt mit einem Mix aus trutziger Romanik und morbidem Charme vergangener Jahrhunderte. Enge Gassen, verwitterte Steine, bröckelnde Fassaden – und doch liegt genau darin ihre Magie. Wer hier durchläuft, spürt Geschichte, aber nicht im Museumsstil, sondern wie ein ehrlicher Händedruck der Vergangenheit. Die Kathedrale? Eher Festung als Kirche – gebaut, um zu beten und sich zu verteidigen. Tui ist kein hübsch hergerichtetes Postkartenstädtchen, sondern ein Ort mit Ecken, Kanten und Charakter. Und genau deshalb: war es meinen Fußlauf wert.
Ich schließe den Tag mit einem Glas spanischen Sangria und zwei Flaschen Wasser. Im Schlepptau. So der zweite Plan. Nun, Plan eins und zwei werden sogleich obsolet.
Ich komme zur Herberge, von oben aus dem Fenster ruft jemand auf deutsch: „Essen ist fertig.“ Häää? Die Mutter von Richard hat gekocht. Lecker, Nudeln mit Tomatensauce. Ich organisiere was zu trinken – 2 Minuten vor Ladenschluss. Wir essen, erzählen und ich frage nach ihrer größten Herausforderung beim Pilgern mit ihrem Sohnemann? „Treppen.“
Ich frage sie auch nach dem Sarria-Effekt (urkundenbesessene Pilgermassen), gibt es ihn hier auch? Sie antwortet – „ja, ab hier“ – wir sind nur noch 114 von ursprünglich 269 km von „Santiago de Compostela“ entfernt.
Oha. Das stimmt. Ich erinnere mich an die riesigen Schulklassen welche zuvor durch TUI gezogen sind.
Buen Camino!