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#Tag 11: Gartenstille in Rochefort 10

Es ist kühl heute Morgen. Keine Sonne, dafür lange Kleidung. Auch mal schön. Ich schlendere gemütlich in den Garten, wo eine alte Dame sitzt – lange, schwarz-graue Haare, ein bisschen wettergegerbt, aber mit einem Lächeln, das Geschichten erzählt. Sie lebt hier, im Wohnwagen. Ganzjährig. Wir kommen ins Gespräch. Über Portugal, über den Winter, über das Leben in einer Region, die für Wärme gebaut wurde – nicht für Dauerregen, Dreck und triefende Melancholie.


„Im Winter“, sagt sie, „trinken hier viele. Viel zu viel.“ Es sei nicht wirklich kalt, aber eben auch kein Leben draußen. Und die Häuser? Große Fenster, dünne Wände, offene Türen. Die Häuser sind auf Schlaf ausgelegt, gelebt wird draußen. Kein Rückzug. Kein Schutz. Depression statt Daunendecke. Ich nicke. Und denke, wie anders alles wirkt, wenn man sich Zeit nimmt zuzuhören.


Sie erzählt auch vom Wandel – wie jedes Jahr neue Leute kommen, um Häuser zu betreuen. Vom Tourismus, der zwar Leben bringt, aber auch Preise treibt. Junge Menschen können sich hier kein Zuhause mehr leisten. Ein bekanntes Lied – in vielen Orten Europas. Und doch: hier klingt es besonders traurig.

Außendusche in Wunderschön

Ich lasse den Tag treiben. Keine Eile, kein Ziel. Sitze auf der Terrasse, Füße hoch, Blasenpflege deluxe. Ein bisschen Internet, ein bisschen Windspiel lauschen. Ich döse später unter einem Baum weg – wertvolles Nickerchen. Wären da nicht die Nachbarn mit ihrem Hausbau-Lärm. Maschinen kreischen, sägen, brummen. Schade. Aber so ist das Leben eben: mal tibetanisches Windspiel, mal Betonmixer mit Winkelschleifer.


Und dann – die Orangen. Direkt aus dem Garten, wie es der Jakobsweg verspricht. Ich beiße hinein. Saftig, süß… und plötzlich springt da etwas. Eine Made. Kein Witz – stolze zehn Zentimeter weit. Ich untersuche die anderen Orangen – alle bewohnt. Die Gastgeberin erzählt mir, dass sie im Frühjahr 20 Kilo davon zu Saft verarbeitet hat. Heute? Heute bleibt es bei einem Probebiss mit tierischem Überraschungsei. Danke, ich bin vorerst satt.

Der Abend lässt die Made vergessen: Laura, Haingo (Volontärin aus Madagaskar) und ich zaubern zusammen. Also gut, ich schnipple, der Rest zaubert. Es gibt Pulpo, Muscheln, Dorade, Zucchini, Karotten – alles mit bestem Olivenöl und Knoblauch verfeinert. Die Nudeln garen nebenbei, und als Salatschleuder dient ein rotierendes Schultergelenk im Handtuch-Modus. MacGyver wäre stolz.

Wir essen mit einem französischen Nachbarn „Eric“, der während einer Pilgerreise einst eine Ruine fand, sie kaufte, sanierte – und heute in einer alten Mühle lebt. Traumhaus. Mit wenigen Touristen verdient er genug zum Leben, mehr braucht er nicht. Warum wird klar, sobald man die ganze Schönheit auf Booking.com betrachtet. Ich mag solche Geschichten – vom Loslassen, Finden und Bleiben.


Das Essen schmeckt, als hätte es ein Sternemenü ins Hier und Jetzt verschlagen. Alles kommt aus dem Garten, sonnenverwöhnt, frisch und ehrlich. Und während wir da sitzen, lachen, trinken und Geschichten teilen, spüre ich: Genau deshalb ist dieser Ort heute mein Zuhause. Zumindest für diesen Moment.


Finale. Nein! Wir fahren zu dritt nach Caminha. Dort ist für 4 Tage „Art Beer Fest“. Wir trinken geschmacklich angereiches IPA-Bier und hören eine nicht für mich bestimmte Soul-Musik. Aber passt. Später trifft Laura einen Kollegen, der führt uns in einen Pub eines Freundes. Gute Musik und große Auswahl an Getränken. Mir sticht ein Name ins Auge – „Rochefort 10“. ich setze darauf – Cocktail? Nein Bier. Es schmeckt Belgisch. Fragezeichen im Kopf – wirklich? Ich lese nach – kommt aus Rochefort – unserm Kajak-Ort. Verrückt.  Ich erzähle es dem Mann neben mir und er sagt: „ja, die Semois ist wunderschön, wir sind auch laufend da“. Kopfkino an. Inmitten Portugal!


Aber hey – auch das ist Camino: ich bekomme eine Taxifahrt später die Massagekunst von Haingo an meinen Füßen und Waden zu spüren. Unendlich Dankbar, um 4:30 Uhr morgens, geht es dann ins Bett. Was ein Tag.

Der Tag fühlt sich nach Erneuerung an. Tiefe Erkenntnisse. Und manchmal braucht es eine Made, die einem zeigt, dass selbst die besten Früchte ein bisschen Aufmerksamkeit brauchen um nach Belgien zu reisen.

Buen Caminho!